Das Potential von Flattr

03.06.2010 yahe legacy security thoughts

Flattr ist ein sogenannter Micropayment-Dienst. Er ist dafür da, Kleinstbeträge von einem Kunden zu einem Anbieter zu transferieren. Interessant an dem Konzept von Flattr ist der Grund, warum man das Geld transferiert und die Art, wie die Höhe der Bezahlung bestimmt wird. Der Grund für die Bezahlung ist bei Flattr nicht der Zugang zu Inhalten. Der Inhalt ist für jeden Besucher verfügbar, auch für Leute, die ihn nicht bezahlen. Über Flattr kann ein zufriedener Konsument jedoch seine Zuneigung zu dem Inhalt ausdrücken. Durch einen Klick auf den Flattr-Button gibt er eine positive Stimme für den Inhalt ab. Er schmeichelt/lobt (engl. "(to) flatter") also den Inhalteanbieter.

Die mit diesem Lob verbundene Geldmenge wird wie folgt bestimmt: Jeder Flattr-Benutzer zahlt einen Geldbetrag bei dem Betreiber von Flattr ein. Nun kann der Benutzer eine Geldmenge angeben, die im aktuellen Monat auf die Inhalteanbieter aufgeteilt wird, denen der Benutzer ein Lob (durch Klicken des Flattr-Buttons) ausgesprochen hat. Am Ende des Monats werden die Klicks zusammengezählt, der Geldbetrag durch die Anzahl der Klicks geteilt und den Inhalteanbietern anteilsmäßig ausbezahlt. Wenn man also 2€ (ist das Minimum) pro Monat verteilt und auf 10 Blogs den Flattr-Button geklickt hat, bekommt jeder der Blogs 0,20€ von diesem Benutzer.

Das scheint im ersten Moment nicht viel zu sein, aber wenn man sich die ersten Auszahlungen bei größeren Webseiten ansieht, erkennt man, dass auch ein gewisses finanzielles Potential hinter Flattr steckt.

Die primäre Frage wird sein, ob und in wieweit sich das System durchsetzen wird. Dafür gibt es meiner Meinung mehrere Varianten.

Die erste Variante ist, dass Flattr ein Nerdspielzeug bleiben wird. Die jetzigen Einnahmen werden ausschließlich durch die Leute generiert, die Zugang zu den Beta-Accounts haben. Das sind in der Regel Technik- und Web-affine Leute, die solche neuen Konzepte natürlich zu gerne ausprobieren wollen. Die wirkliche Arbeit wird es sein, die Verwendung von Flattr für den Otto-Normal-Surfer schmackhaft zu machen. Das wird gar nicht so einfach sein, denn einen Vorteil bietet ihm Flattr eigentlich nicht. Im Grunde gibt er dadurch nur Geld aus, dass er sonst in andere Dinge investieren könnte. Ich weiß nicht, ob der Großteil der Bevölkerung mit dem Gedanken umherläuft "Man, Blog XY hat mir gerade so sehr weiter geholfen, dem will ich jetzt unbedingt ein paar Cents schenken!".s Die meisten werden wohl einfach die Seite verlassen und sich freuen, dass sie das gefunden haben, wonach sie gesucht haben. Damit wäre das System gescheitert, da sich die Nerds gegenseitig das Geld zuschieben.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich die Verwendung von Flattr zumindest im Social Media Bereich etabliert. Damit wäre es eine Art "Like"-Button, der als Bonus ein paar Cents mit sich bringt. Ich weiß allerdings nicht, ob mir dieser Gedanke so sehr gefällt. Ich sehe dort nämlich die Gefahr, dass das Geld primär bei den großen Blogs landen wird, so, wie derzeit auch der Großteil der Trackbacks und Links dort landet. Das Resultat des Ganzen wäre wahrscheinlich, dass kleinere Blogs aufhören, Flattr einzusetzen, da sie keinen Mehrwert haben. Dadurch würden jedoch auch die Einnahmen der großen Blogs zurückgehen, bis auch diese irgendwann Flattr von ihren Seiten verbannen. Damit wäre das System tot.

Was also unbedingt passieren muss, ist, dass die Masse der Webnutzer das Potential von Flattr erkennen und die Benutzung einfach genug ist, damit sie es regelmäßig nutzen. Das heißt jedoch auch, dass es für die Benutzer einen Anreiz geben muss, Flattr zu nutzen. In diese Richtung habe ich heute bereits den Vorschlag gelesen, Flattr-Buttons an Blogkommentare zu heften. Dann könnten Kommentatoren mit guten Beiträgen ebenfalls Geld erhalten, da sie ja selbst auch Content-Produzenten sind. Daraus könnte dann eine Mikroökonomie entstehen, von der alle Seiten etwas haben. Die Blogbetreiber und Artikelschreiber könnten Einnahmen generieren und durch das Bereitstellen einer Kommentarplattform gute Kommentatoren anlocken, die Content beitragen und ebenfalls Einnahmen generieren.

Je nach Umfang des Marktes könnten Online-Zeitungen damit evtl. sogar das derzeitige Problem mit der Monetarisierung ihrer Angebote lösen. Sie müssten sich dann jedoch dem Willen des Lesers unterwerfen und das schreiben, was diese gern lesen möchten. Und genau da kommen wir zu den Schattenseiten, wenn man versucht, Flattr in ein mögliches Bezahlsystem zu überführen.

Das erste Problem ist mir schon beim TAZ-Artikel zu dem Thema aufgefallen: Dort heißt es nämlich "Im Prinzip wurde per Flattr belohnt, was unsere Leser im Moment auch sonst gerne lesen". Für Zeitungen könnte diese Art der Flattr-Mentalität wirklich zu einem Problem werden. Denn wer investiert schon Zeit und Geld in Artikel des Alltagsgeschehens, die derzeit keinen interessieren? Es ist doch schließlich viel lukrativer, Themen ausführlich zu behandeln, die derzeit sowieso in aller Munde sind. Das könnte zu einer Verflachung und Gleichschaltung des Inhaltsangebots führen.

Doch ich sehe auch noch ganz andere Probleme. Das fängt beim Finanzamt an: Jeder Blogger weiß, dass er beim Generieren von Einnahmen an das Finanzamt denken sollte. Sollte einem Blogger eine Gewerblichkeit durch seine Einnahmen vorgeworfen werden, könnte es teuer werden, Stichwort Steuerhinterziehung. Wenn nun jeder Contenterzeuger (also auch Kommentatoren) Geld einnimmt, könnte es zu einer rechtlichen Verunsicherung der Flattr-Nutzer kommen. Muss man für einen häufig geflatterten Kommentar ein Gewerbe anmelden? Ab wievielen Kommentaren wird die freie Meinungsäußerung gewerblich und damit steuerpflichtig? Kann man für einen "gewerblichen" Kommentar abgemahnt werden, wenn man darin unaufgefordert Werbung für ein (Konkurrenz-) Produkt macht? Muss man gar ein Impressum für "gewerbliche" Kommentare hinterlassen? Wie man sieht, wird hier das Gewerberecht an seine Grenzen getrieben und es entsteht dringender Klärungsbedarf.

Abschließend sehe ich zudem noch technische Gefahren. Bei Twitter haben wir es mehrfach erlebt: Die Leute sind permanent eingeloggt, die API immer abrufbereit. Ein falscher Klick und schon hat man einen Spamkommentar abgeschickt, oder tausende. Wie wird das bei Flattr aussehen? Wann kommen die ersten Scripte, die automatisch (z.B. per JavaScript) die Flattr-Buttons "für den Besucher" drücken, um sich damit Umsätze zu generieren? Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass er derzeit schwer wäre, solch eine Lücke auszunutzen. Ich weiß, es ist schade, dass man sich auch über solche Dinge Gedanken machen muss, aber sie werden früher oder später kommen.


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